Stevens-Cup Neumünster
DER TAG IST SCHON GANZ SCHÖN ALT!“
Kaum ist der Regenmonat drei Tage alt, haben die ersten schon den Novemberblues. Ich kann es JETZT schon nicht mehr oder noch nicht hören! Dieses Gejammer! Wir hatten einen schönen Sommer, einen goldenen Oktober, das Training eines jeden Radsportlers war überwiegend von Sonne, blauem Himmel und Wind geprägt:
Nun liegt es ja in der Natur der Sache, dass damit irgendwann Schluss ist und das schwarze Regenband über Schleswig-Holstein einfällt. Und? OH WEH! Es wird kühler! OH NEIN! Wolken. OH MEIN GOTT: MATSCH! Ja, sagt mir mal einer, warum fahrt ihr denn Cross??
Ich für meinen Teil liebe Matsch! Wenn ich mich nach Ansage so richtig einsauen kann, wenn mir der Matsch an den Wimpern und unter den Fingernägeln klebt, wenn die Farbe am Rahmen nicht mehr zu erkennen ist, wenn die Schuhe nach dem Rennen doppelt so schwer sind: Dann ist Cross. WILLKOMMEN IN NEUMÜNSTER!
Die Strecke leicht geändert, ich war kurz irritiert. Beim Umrunden des Parcours stellte ich fest: das passt. Muss nicht länger sein und für den Zuschauer ist es sicher spannender, wenn die Fahrer/innen im Rennen schneller wieder vorbei kommen. Beim Einrollen (man kann auch Einmatschen sagen) spürte ich, dass mir die Strecke und der Untergrund liegt. Jetzt weiß ich wieder, warum mein Sternchen mich immer und immer wieder verbotener Weise die tiefsandigen Pferdewege im Klövensteen fahren lässt! Es übt!
Zackige und fröhliche Startaufstellung durch Stefan Sturm, der sich dieser Tage sicher einen anderen Nachnamen wünscht. 15 konzentrierte Frauen starren auf die Startgerade. Unser Pfiff ertönt und ab geht die Post. Nicht der beste Start – nur lässt sich die „neue Suse“ davon nicht aus der Ruhe bringen und hat schon vor der 1. Kurve Platz 3 zurück erkämpft. Was mich freut: nach der Kurve immer noch. Der gemeine Leser weiß, dass es schon ganz andere Geschichten von mir zu berichten gab.
KONZENTRIEREN. DRANBLEIBEN. Vor allen Dingen ohne Fahrfehler. Ich sehe, wie Anne sich an die Spitze setzen kann. Freude! Ich bin schon schnell, und doch nicht schnell genug – die Spitze zieht davon. Mit mir bleiben Jule und Janni im Feld, die beiden überholen mich. Ich habe gelernt: nicht verrückt machen lassen: dranbleiben. Lesen. Start/Ziel kommt, die nächste scharfe Kurve hinein in den Matsch. Und ich fliege förmlich. Ihr hättet das sehen sollen! Viele von Euch kennen meine Geschichten, wie sich mein Lenker im einzigen Ast auf der Strecke verfängt. Wie sich eine peinliche Geschichte an die andere reiht… Und? Ich werde eins mit meinem Rad, ich spüre förmlich, wie wir zusammen wachsen wir beide – und ich vorbei FLIEGE an der Konkurrenz.
Jörg, Thomas und viele Zuschauer an der Strecke können es ebenso wenig glauben wie ich: ich habe mich abgesetzt und an Platz 3 festgesetzt. Runde für Runde für Runde (und es waren viele heute!) konnte ich Sekunden gut machen und bin mit jeder Umrundung begeisterter über den Matsch, die Wiesen und nasse Wurzeln geflogen.
Kinners, was eine Aufregung! JETZT! BLOSS! NICHT! PATZEN! 15sek. sind ein guter Vorsprung, und der ist weg mit einem einzigen unkonzentrierten Patzer. ICH WEISS DAS, TEAMCHEF!!! Und danke für Deinen unermüdlichen Support im Rennen!!
Die letzte Runde. Ich darf mich nicht umblicken, sonst gibt’s Schimpfe. Suche eine Stelle im Wald wo ich unauffällig zur Seite schielen kann – ich sehe niemanden mehr. Ich fahre durch den Matsch, ein letztes Mal. Die allerletzte Kurve: nicht bremsen, nur rollen, schalten, und wieder treten und gleite auf die Zielgerade. Da winken sie schon alle. MEINE GÜTE! Was ein Erlebnis. René der Sprecher kann es nicht fassen. Ich auch nicht. Und ein büschen ungläubig gucken viel andere auch: Weil es so unglaublich schön und aufregend ist. Weil ich mir das mit jeder Trainingseinheit, mit jedem nicht-schlafen-sondern-vor-der-Spätschicht-trainieren-Tag so richtig verdient habe:
Ich kreische während ich schwebend als DRITTE die Ziellinie überquere. So war das.
Anne stand schon keuchend und grinsend im Ziel. Wir nehmen uns in die Arme und sind einfach glücklich. „Heute haben die ‚Alten Ladies‘ all ihre Erfahrung gezeigt (Einschätzung von Axel B. aus Lü) und die sonst kraftvolle Jugend technisch K.O. gesetzt.“ Bei der Siegerehrung steht Lisa verdient ganz oben: flankiert von 90 Jahren Frauenpower.
Bei Antje ist dieses Mal nicht der Schlauchreifen sondern der Knoten geplatzt und sie konnte nach einem konzentrierten, geduldigen und fahrtechnisch tollen Rennen Platz 5 herausfahren! So sieht „Süperglück“ aus! Solveig hat es mit Platz 9 in die TOP 10 geschafft und wir sind absolut zufrieden mit diesem Wochenende!
Eines möchte ich noch loswerden, sozusagen in eigener Sache: Wir fahren uns alle während des Rennens ein, begutachten die Strecke. Rücksicht nehmen ist für uns Frauen absolute Ehrensache. Scheint allerdings nicht für alle Rennklassen zu gelten. Ich will nicht 6x im Rennen rufen, dass ich vorbei fahren möchte und schon gar nicht möchte ich von meiner Ideallinie abweichen, weil ein Tüffel dort steht. Und meine Kollegin möchte nicht, dass ihr jemand am Hinterrad fährt, der nicht unmittlbar mit dem Rennen zu tun hat und sie möchte schon gar nicht, dass ein „Sportler“ zu ihr sagt: „NUN MACH DICH MAL LOCKER!“ Danke. Ende der Durchsage.
In diesem Sinne, wir sehen uns im Wald
Eure Suse Rautenberg